Titel der Woche: »Süsses oder Saures«
Inhaltsverzeichnis
Montag – 28.10.2024 Ab in die Röhre
Der heutige Brust-MRT Nachsorge Termin steht seit einem Jahr in meinem Kalender und bereitet mir bereits seit Wochen schlaflose Nächte und Bauchschmerzen. Überall zwickt es und ich habe große Angst vor dem Ergebnis.
Still und in mich gekehrt fahre ich mit meinem Mann in die Klinik. Ich bin für meine Verhältnisse ungewöhnlich ruhig, versuche mich selber mit Atemübungen zu beruhigen. Im Brustzentrum gebe ich meine Überweisung ab. Natürlich ist mal wieder ein Kreuz falsch gesetzt und ich muss ihnen nächste Woche einen korrigierten Schein von meinem Frauenarzt zukommen lassen. Die ganze Bürokratie bringt mich noch um. Wer hat sich bitte einen solchen Mist ausgedacht. Ständig fahre ich von Arzt zu Arzt, um irgendwelche Formulare abzuholen oder unterschreiben zu lassen. Naja, jetzt bloss nicht über so eine Kleinigkeit aufregen. Durch die mir bestens vertrauten Gänge laufen wir ins Bettenhaus zur Radiologie. Wieder muss ich Formulare ausfüllen. Zumindest hat sich das Terminmanagement in den letzten Jahren deutlich verbessert. Pünktlich um 10:30 Uhr werde ich vom Radiologiepfleger aufgerufen. Ich kläre ihn über meinen Bandscheibenvorfall im Nacken auf. Er ist sehr bemüht, mich so zu lagern, dass ich die 20 Minuten Bauchlage einigermaßen unbeschadet überstehe. Der Zugang für das Kontrastmittel wird gelegt. Der Geruch des Desinfektionsmittels löst Brechgefühle in mir aus. Die Erinnerung an die 16 Chemo- und 9 zusätzlichen Immuntherapieinfusionen ist doch noch sehr präsent.
Alles klappt ohne größere Probleme. Beim verlassen des Raumes versuche ich einen Blick auf den Bildschirm zu werfen. Leuchtet dort etwas? Wie schaut der Arzt, der sich die Bilder anschaut? Wir gehen zurück ins Brustzentrum. Wiedermal warten. Der Arzt ist noch nicht aufgetaucht. Oh nein, bitte nicht wieder. Die Ärztinnen mag ich nicht. Denen fehlt es an Empathie und nach meinem Gefühl auch an Fachwissen. Gott sei Dank, da huscht er in Sportschuhen und Hoddie um die Ecke. Entspannt wie immer. Die zusätzliche Stunde Wartezeit nehme ich gerne in Kauf.
13 Uhr endlich werde ich aufgerufen. Meine Nerven sind schon nicht mehr vorhanden. Er beruhigt mich direkt. Beim MRT gab es keine Auffälligkeiten oder eine Kontrastmittelanreicherung. Mir fallen 1000 Steine vom Herzen. Der Utraschall ist nun Routine. Anschließend plaudern wir noch ein bisschen über Nebenwirkungen und die weitere Nachsorge. Für heute habe ich es erstmal geschafft.
Dienstag – 29.10.2024 Patchwork Family Time
Die Jungs meines Mannes sind gerade zu Besuch. Leider wohnen sie 500 km entfernt, so dass mein Mann sie nur selten sehen kann. Umso dankbarer bin ich, dass wir die Ferienwoche unbeschwert genießen können. Ich hatte große Sorge wegen meines Nachsorgetermins, der ausgerechnet diese Woche stattfinden muss. Meine Kinder haben leider Schule und müssen teilweise Klausuren schreiben, so dass wir nur wenig gemeinsam unternehmen können. Auch ich habe wie immer viel zu tun. Gerade musste ich noch einen Hausarzttermin einschieben, da mein Physiorezept nicht so einfach verlängert werden kann. Mal gespannt, was mich da morgen wieder erwartet.
Am Nachmittag habe ich nach fast vier Wochen Pause endlich wieder Physio. Ist auch dringend nötig, denn so positiv die Ergebnisse hinsichtlich eines Rückfalls der Krebserkrankung auch waren, zeigt sich leider, dass die Bestrahlung doch so einigen Schaden im Gewebe angerichtet hat, der immer wieder zu Schmerzen führt. Die Physiotherapeutin bekommt das super hin, so dass ich im Alltag kaum Einschränkungen habe. Sie beruhigt mich auch direkt hinsichtlich meines Bandscheibenvorfalls. Alles halb so schlimm – kriegen wir wieder hin.
Beschwingt radle ich nach Hause und spiele mit Matthias und den Jungs Monopoly. Ich liebe Spielzeit mit der Familie und bin froh, so die Teenies mal vom Handy wegzubekommen.
Mittwoch – 30.10.2024 Einfach Mittwoch
8:15 Uhr Termin bei meinem Hausarzt. Ich bin sehr dankbar hier im Kölner Süden zu wohnen, wo man noch zeitnah Arzttermine bekommen kann. Draußen ist es verdammt kalt, ich entscheide mich fürs Auto. Mit meiner pinken FFP2 Maske nehme ich im Wartezimmer platz. Habe keine Lust mir hier noch was einzufangen, nur weil ich ein neues Physiorezept brauche. Um mich herum schnieft und hustet es. Nicht anders zu erwarten, um diese Jahreszeit. Gott sein Dank muss ich nur kurz warten. Ich mag meinen türkisch-stämmigen Hausarzt. Er ist sehr kompetent, empathisch und immer um eine gute Lösung für seine Patienten bemüht. Er klärt mich auf, dass ich bei der Krankenkasse eine Langzeitphysiotherapie beantragen muss. Echt jetzt? Wieder einen Krankenkassenantrag schreiben. Das darf nicht wahr sein.
Wieder zu Hause frühstücke ich mit meinem Mann und seinen Jungs, bevor es für mich an den Schreibtisch geht. Familienadministration, Steuererklärung vorbereiten, Schulorganisation der Kinder. Manchmal frage ich mich, wie ich neben meinem wöchentlichen Pensum eigentlich wieder regulär arbeiten will, ohne, dass zu Hause das Chaos ausbricht oder ich meine Gesundheit im Stress vollkommen ruiniere? Über das Thema könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Sprengt definitiv den Rahmen meines Wochenrückblicks.
Donnerstag – 31.10.2024 Happy Halloween
Heute ist Halloween und meine Freundin veranstaltet heute Abend eine kleine Party. Wie immer habe ich mir viel zu spät Gedanken über mein Outfit gemacht. Dank Amazon Prime habe ich noch eine Chance auf ein Vampirkostüm. Erstmal steht allerdings Physiotherapie und Großeinkauf auf dem Programm. Die Bemerkung meiner Physiotherapeutin, dass sich mein Bauch rund um die Leber etwas gespannt anfühlt, löst bei mir direkt wieder ein bisschen Panik aus. Meine Ängste vor einem Rückfall sind doch stärker als ich mir eingestehen möchte.
Nach einer wohltuenden Behandlung stürze ich mich ins Einkaufsgetümmel. Hätte nicht erwartet, dass so viel los ist. Ich bekomme kaum einen Parkplatz. An der Fleischtheke sind 12 Personen vor mir dran. Kurzzeitig überdenke ich meinen Plan eine Rinderkraftsuppe zu kochen, habe aber bereits alle anderen Zutaten im Einkaufswagen. 2 Stunden später und ein bisschen genervt, lade ich 4 große Einkaufstaschen aus meinem Auto. Was wie ein Vorrat für einen Monat aussieht, hält bei uns hoffentlich bis übers Wochenende. Ich verteile alles auf unsere zwei Kühlschränke und freue mich über ein leckeres Mittagessen, das mein Mann für uns gekocht hat.
Um 16Uhr klingelt der DHL Bote mit meinem Kostüm. Ich habe heute richtig Spaß mich zu verkleiden. Die Langhaarperücke weckt ein paar schmerzliche Erinnerungen an meine langen Haare, obwohl ich meinen Kurzhaarschnitt sehr flott und praktisch finde. Aber mehr als 40 Jahre lange Haare sind schon eine Zeit. Ich überrasche meine Familie mit meinem Outfit. Alle finden es cool und auch ich gefalle mir richtig gut.
Bevor ich mit meinem Mann losziehen kann, will meine Tochter noch zu einer Übernachtungsparty gefahren werden. Sie hat sich ebenfalls als Vampir verkleidet. Die Kinder, die bereits Süssigkeiten sammeln, haben sichtlich Freude an uns. Man sieht schließlich nicht alle Tage einen autofahrenden Vampir.
Die Party bei meinen Freunden ist wie immer ausgelassen und fröhlich. Besonders wir Frauen haben viel Spaß. Wir singen lauthals Lieder aus unserer Jugend und unterhalten die gesamte Nachbarschaft. Zuhause bin ich immer noch in Singlaune. Die Kids sind etwas verwirrt, finden mich wahrscheinlich ein bisschen peinlich und glauben, ich hätte zu viel Alkohol getrunken. Tatsächlich bin ich aber stock nüchtern. Seit meiner Brustkrebserkrankung trinke ich keinen Alkohol mehr. Ich brauche den auch nicht, um fröhlich sein zu können. Mein Sohn hält meine Gesangseinlagen für die Nachwelt per Video fest.
Freitag – 01.11.2024 Novemberblues
Ein typischer Novembertag. Draußen ist es trüb und ungemütlich. Nach dem Frühstück bringt mein Mann seine Söhne zum Bahnhof. Die Woche ist mal wieder schnell rum gegangen. Ich widme mich währenddessen dem Haushalt. Betten abziehen, Wäsche waschen, staubsaugen, Bäder putzen, bügeln. Leider ist ausgerechnet diese Woche unsere Putzfrau an Corona erkrankt. Zum Mittagessen koche ich die Rinderkraftbrühe. Lege mir gleichzeitg einen Vorrat für die nächsten Wochen an. In der Erkältungszeit schadet es nicht etwas im Haus zu haben.
Am Nachmittag fahre ich mit meinem Mann wieder zu unserem chinesischen Arzt. Ich liebe seine Weisheiten und Geschichten. Der Perspektivenwechsel ist jedes Mal sehr bereichernd. Nach der Tuinamassage und der Akkupunktur fühle ich mich richtig leicht. Meine Verspannungen sind besser und ich lasse den Tag ganz in Ruhe ausklingen.
Samstag – 02.11.2024 Ordnung ist das halbe Leben
Innere und äußere Ordnung hängen meiner Meinung nach stark zusammen. Wer äußerlich im Chaos lebt, kann auch innerlich nicht zur Ruhe kommen. Daher versuche ich so gut es geht, unserem Zuhause eine gemütliche Struktur zu geben. Ich bin nicht penibel oder habe einen Putzfimmel, aber ich mag es wenn es aufgeräumt ist. Meine Familie teilt diese Ansicht nur bedingt bzw. tut sich schwer in der kontinuierlichen Umsetzung. Es gab Zeiten, da habe ich es sehr persönlich genommen, wenn mein Wunsch nach Ordnung immer wieder unterwandert wurde. Ich war frustriert und fühlte mich nicht gesehen. Aufräumen wurde zum emotionalen Stress mit Gefühlen von Wut und Enttäuschung. Mittlerweile habe ich meine Einstellung geändert. Ich räume für mich auf, nicht für die Anderen. Sehe den Prozess als Meditation. Wenn ich konzentriet Ordnung schaffe, ist der Kopf frei von anderen Gedanken und es geht sogar noch schneller.
Heute ist erstmal die Küche dran. Ich putze die Kühlschränke aus, sortiere die Lebensmittel wieder übersichtlich und staubsauge die Vorratsschubladen. Als Belohnung habe ich mir ein neues Gewürzregal gekauft. Endlich genug Platz und ich finde viel schneller was ich brauche. Am Nachmittag ist dann mein Büro dran. Hier hat sich ebenfalls einiges angesammelt. Rechnungen, Papier und Co stapeln sich auf meinen Schreibtisch. Bis zum frühen Abend sortiere ich, hefte ab und räume weg. Ein gutes Gefühl!
Sonntag – 03.11.2024 Novembersonne
Was für ein Traumwetter. Ich will unbedingt nochmal eine schöne Herbstwanderung unternehmen. Nachdem ich gestern vorwiegend drinnen verbracht habe, brauche ich mal frische Luft. Erfreulicherweise kann ich meine Tochter motivieren und wir fahren zusammen mit Bruno wieder ins Siebengebirge. Heute wollen wir zur Löwenburg und auf den Ölberg. Die 40 Minuten Autofahrt sind mit unserem Hund wie immer eine nervliche Herausforderung. Wir haben den coolsten Hund der Welt, außer wenn es ums Autofahren geht. Wir haben schon alles ausprobiert, doch bis jetzt hat Nichts wirklich geholfen. Also ertragen wir tapfer sein Winseln und Jammern. Dafür werden wir kurze Zeit später mit einer wunderschönen Wandertour belohnt. Auf der Strecke kehren wir in eine urige Waldwirtschaft ein. Wir ergattern einen der letzten Tische. Bei dem Wetter sind viele Wandergruppen unterwegs. Wir stärken uns mit Flammkuchen und Bratkartoffeln, führen ein nettes Gespräch mit zwei älteren Damen, die sich an unseren Tisch gesellen. Ich bin so dankbar, dass ich so schöne Momente erleben darf.
Der Aufstieg auf den Ölberg ist anstrengend. Ich locke meine Tochter mit der Aussicht auf eine Waffel oder ein Stück Kuchen. Gemäss Internet befindet sich auf der Spitze des Berges ein Restaurant. Was wir vorfinden ist sehr enttäuschend. Ein leerer Selbstbedienunsgautomat und ein Restaurant, das um 14:30 Uhr nichts mehr anbietet, weil ab 18 Uhr die Gäste fürs Abendessen erwartet werden. Etwas frustriert steigen wir wieder ins Tal. Dort entdecken wir dann doch noch ein nettes Kaffee mit himmlischem Schokokuchen.
Halb sechs sind wir wieder zu Hause. Später als ursprünglich geplant. In Windeseile dusche ich, esse eine Kleinigkeit zu Abend, bevor mein Mann und ich zur Lesung von Michael Nast aufbrechen. Michael Nast ist einer meiner Lieblingsautoren und liest heute in Köln aus seinem neuen Buch »Weil da irgendetwas fehlt.« Ich mag seine Sicht auf die Gesellschaft und seine tiefenpsychologischen Denkanstösse. Ehrlich, nah am Leben und nicht belehrend. Eine tolle Lesung, mit Buchsignierung und Selfie. Was für ein schöner Tages- und Wochenabschluss.