Titel der Woche: »Die mit der Angst tanzt«
Montag – 07.10.2024 Einfach mal machen
»Ich bin wach – mehr möchte ich zu meinem momentanen Zustand nicht sagen.« Es ist Montagmorgen, mein Bett so herrlich weich und bequem und ich habe nicht die geringste Lust aufzustehen. Meine Putzfrau teilt mir per WhatApp mit, dass sie auch diese Woche nicht kommen wird, was meine Laune nicht gerade hebt. Es sieht im Ganzen Haus chaotisch aus, die Wäscheberge türmen sich in den Bädern und es müsste mal wieder dringend gestaubsaugt werden.
Nach dem Frühstück und der morgendlichen Hunderunde setze ich mich erstmal an den Schreibtisch und schreibe meinen Blogartikel fertig. Ich schäme mich ein bisschen, dass ich meiner Schreibleidenschaft gerade soviel Aufmerksamkeit schenke anstatt unseren Haushalt auf Vordermann zu bringen.
»Wer liest diesen Kram eigentlich und was willst Du damit bezwecken? Arbeite lieber was Anständiges, anstatt Deine Zeit beim Schreiben zu verplempern. Wenn es wenigstens ein neues Buch wäre!«, höre ich meinen inneren Kritiker meckern. Was soll ich ihm antworten? Mir tut das Schreiben einfach gut und ich empfinde es nicht als sinnlos.
Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, arbeite ich noch ein paar To Does von meinem Schreibtisch ab. Schließlich will ich am Nachmittag zum Geburtstag einer Freundin in die Bowlinghalle.
Lange habe ich mit mir gehadert, ob ich wirklich zum Bowling zusagen soll. Traue ich meinem Körper die Belastung zu. Was wenn ich gar nicht werfen kann und dann jedem erklären muss, warum ich aufhöre zu spielen. Ich habe keine Lust mehr, den Brustkrebs über all zu thematisieren. Auch hier ist mein innerer Kritiker wieder ordentlich am Werk. »Mit Deinem instabilen Oberkörper Bowling spielen, ist aber keine gute Idee.« Ich setze mich mutig über seine Bedenken hinweg. Schon nach dem ersten Wurf spüre ich, dass mein Körper gar nicht so schwach ist, wie ich dachte. Ich spiele ganz passabel ohne Schmerzen und genieße eine ordentliche Portion Selbstvertrauen.
Fazit des heutigen Tages: Dem inneren Kritiker mutig die Stirn bieten und einfach mal machen. Könnte ja gut werden!
Dienstag – 08.10.2024 Ein Tag für die Füchse
Nach dem schönen gestrigen Tag starte ich zunächst motiviert in meine Aufgaben. Es gibt viel zu tun. Heute sollte ich mich endlich mal dem Haushalt und der Wäsche widmen. In meinem Schrank befindet sich noch eine akzeptable Unterhose. Ansonsten muss ich auf meine Notwäsche zurückgreifen. Also die Hosen die zwicken und einfach unbequem sind.
Ich bin gerade so im Treiben, da bekomme ich einen Anruf meiner Nachbarin, die ebenfalls Brustkrebspatientin ist. Ich habe ihr gestern Abend von meinen Rückenverspannungen erzählt. Sie rät mir meine Rückenschmerzen sofort onkologisch abklären zu lassen. Mit meiner Vorgeschichte sollte ich da vorsichtig sein. Ich weiß, dass ihr Anruf lieb gemeint ist, wirft mich aber komplett aus der Bahn. Eine Welle der Panik überrollt mich und ich bin nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu machen. Ich gehe mit dem Hund an die frische Luft, versuche mich abzulenken, da piept mein Handy. Wieder eine Nachricht meiner Nachbarin. Sie hat mit einer Schwester aus der Onkologie gesprochen, die auch der Meinung ist, ich sollte so schnell wie möglich meinen Onkologen kontaktieren.
Ich rufe in der Uniklinik an und wie erwartet, fühlt sich niemand wirklich zuständig. Ich soll mich an einen niedergelassenen Orthopäden wenden. Ich versinke erstmal total erschöpft in meinem Lieblingssessel. Ich habe keine Lust mehr, auf Schmerzen und vor allem diese brutale Angst. Ich scrolle durch die sozialen Netzwerke und schaue ein paar lustige Hundevideos. Dabei wird mir der Post einer Bekannten aus der Krebscommunity angezeigt. Das Bild verheißt nichts Gutes. Ich sehe ihr Foto mit der dicken, blauen Beule am Kopf und den traurigen, verzweifelten Augen. Ich lese ihre emotionalen Worte und breche noch ein Stück mehr in mir zusammen. Sie teilt uns mit, dass nach einem epileptischen Anfall Hirnmetastasen gefunden wurden.
Ich atme tief ein und aus und spüre wie die Schmerzen in meiner Schulter und meinem Nacken immer schlimmer werden. Ich versuche mich selbst zu beruhigen, weiß dass ich mich von solchen Geschichten emotional abgrenzen muss. Der Chat mit einer anderen Frau aus der Krebscommunity baut mich wieder auf. Sie hat vollstes Verständnis für meine Angst und kann mich verstehen. Welch eine Gefühlschaos – ich wünsche mir nur, dass der Tag schnell vorbei geht.
Mittwoch – 09.10.2024 Refraiming
Neuer Tag, neues Glück, wie mein Sohn so schön sagen würde. Ich stehe auf, trainiere 20 Minuten auf dem Rudergerät und mache ein paar Yogaübungen. Egal, was da in meinem Rücken los ist, ein moderates Training wird bestimmt nicht schaden. Ich stelle mich meiner Angst, greife zum Telefon und versuche einen Termin beim Orthopäden zu bekommen. Nach einigen Absagen finde ich eine Praxis, die mir für morgen einen Akuttermin anbieten kann. Aus der Starre von gestern wieder ins Tun zu kommen, tut mir gut. Ich arbeite meine To Do Liste ab und spüre, wie mein Selbstvertrauen in mich und das Leben zurückkehrt.
Am Abend besuche ich eine Hypnogruppe, die ich mir als Unterstützung für meine Ängste gesucht habe. In der Hypnogruppe wird u.a. mit der Refraiming-Technik gearbeitet. Diese hat mir schon in vielen Lebenslagen sehr geholfen. Beim Refraiming wird ein Erlebnis in einen anderen Denkrahmen gesetzt, so dass die Situation in einem neuen Licht erscheint. Der Therapeut zeigt vollstes Verständnis für meine Emotionen und die Gruppe fängt mich sehr liebevoll auf. Alle stellen sich um mich herum, geben mir die Hand, stützen meinen Rücken und geben mir das Gefühl nicht allein zu sein. Mit dieser positiven Energie und vielen guten Wünsche fahre ich gestärkt nach Hause.
Donnerstag – 10.10.2024 Die Angst sitzt mir im Nacken
Ich sitze mal wieder in einem Wartezimmer. Diesmal bei einem mir noch unbekannten Orthopäden. Arzt- und Therapietermine, so wie unzählige Telefonate, Briefe und E-Mails rund um meine Erkrankung geben seit 1,5 Jahren meinem Leben seine Tagesstruktur vor. Es fühlt sich an, wie ein Job, den ich mir nicht freiwillig aussuchen konnte und der Geld kostet, anstatt welches einzubringen. Ich erwische mich, wie ich die Sprechstundenhilfe, die mit ihrer Kollegin rumalbert, insgeheim beneide. Ein erfüllender Job mit netten Kollegen wäre schon ganz schön. Die Zeit wird vielleicht wieder kommen. Jetzt stehen meine gesundheitlichen Baustellen erstmal im Vordergrund.
Also warte ich schön brav auf den Arzt. Ich habe ja Zeit, mich an einem Donnertag um 14h in eine Arztpraxis zu setzen. Ich hoffe trotzdem, dass es nicht all zu lange dauert. Ich will später noch zur Projektpräsentation meiner Kinder in die Schule. Nach 10 Minuten werde ich aufgerufen. Die Organisation in dieser Praxis scheint erstaunlich gut zu funktionieren. Der Arzt ist sehr nett, untersucht mich gewissenhaft und fragt vorsichtig nach meinem psychischen Befinden. Naja, wie soll es einem gehen, wenn man in zwei Wochen einen Brust-MRT-Kontrolltermin hat. So gerne ich die Angst auch verdrängen würde, in meinem Unterbewusstsein brodelt es und mein Körper verspannt immer mehr. Die Schmerzen versetzen mich in zusätzliche Alarmbereitschaft. Ein Teufelskreis aus dem ich momentan keinen Ausweg sehe.
Der Arzt ist erstaunlich emphatisch, verabreicht mir ein paar Spritzen in die verspannte Muskulatur und stellt mir eine Überweisung für ein MRT aus. Es tut gut, dass mich jemand mit meiner Angst und meinen Schmerzen ernst nimmt. Das empfohlene Strahleninstitut hat überraschenderweise bereits in der übernächsten Woche einen Termin für mich frei. Schön, wenn auch mal was läuft.
Übrigens: Heute ist Welthundetag. Ich kann gar nicht oft genug betonen, welch gute Entscheidung es war, einen Hund in unsere Familie zu holen. Bruno ist einfach der Beste.
Freitag – 11.10.2024 Meinen Schreibfokus wiederfinden
Nach so einer langen, intensiven Therapiezeit in der neben Alltagsaufgaben im Haushalt nicht viel Platz war für Anderes, ist es gar nicht einfach seinen Fokus wieder auf neue Projekte zu richten. Der Kopf ist voll mit all dem Erlebten, das sich nicht mal eben so abschütteln lässt. Erst hatte ich gehofft, ich könnte an meine Autorenkarriere anknüpfen. Anderen scheint es doch auch spielend zu gelingen, wieder erfolgreich ins Berufsleben zu starten.
Ich verurteile mich gerne mal selbst, dass ich das nicht schaffe. Ich bin in den letzten Monaten aber auch tief in meine Erkrankung eingestiegen. Wahnsinn welches unglaubliche medizinische Fachwissen ich mir angeeignet habe. Das Schreiben ist dabei in den Hintergrund geraten. Der Wochenrückblick hilft mir wieder in eine tägliche Schreibroutine zu kommen und meine Sprache wiederzufinden.
Auch heute wird fleißig geschrieben. Einige Ideen wirbeln durch meinen Kopf und finden Platz in meinem Ideenspeicher. Ich habe mir eine Liste erstellt, in der ich alles festhalte, was ich zukünftig gerne schreiben würde. Vielleicht gibt es irgendwann doch wieder ein Buchprojekt. In meiner Buchsoftware habe ich bestimmt fünf angefangene Manuskripte. Doch ich fühle die Themen noch nicht. Ich kann nur gut schreiben, wenn meine emotionale Beziehung zu dem Buch stimmt.
Samstag – 12.10.2024 Reibekuchen mit Apfelmus
Seit meiner Erkrankung bin ich viel spontaner geworden. Früher habe ich alles akribisch geplant. Schulferien wurden bereits Monate vorher gebucht und Tage vor unserer Abreise habe ich Packlisten geschrieben und die Wäsche auf unserem Gästebett bereitgelegt. Gestern gab es bei uns Herbstferien. Ursprünglich hatte ich mit den Kindern eine Woche Österreich geplant. Die Aussicht auf 700 km Autofahrt mit meinem angeschlagenen Rücken und zahlreichen Staus hat mich dann doch abgeschreckt. Wir werden die Ferien bei Verwandten im Saarland verbringen. Hier gibt es auch schöne Ecken und alles ist viel stressfreier.
Eigentlich wollten wir heute los, doch dann fragten Freunde an, ob sie uns am Samstag in Köln besuchen können. Warum nicht? Ich bin ja jetzt spontan. Also, gab es heute ein lockeres Treffen mit Reibekuchen vom Grill. Bei uns ist es zur Tradition geworden an- und abzugrillen mit Reibekuchen. In der Küche ist es mir immer ein zu großer Gestank und auf dem Grill werden sie viel krosser. Wir hatten einen richtigen schönen, lockeren Nachmittag, auch die Hunde haben friedlich miteinander gespielt. Meine Schmerzen und meine Angst sind auch deutlich besser. Mir tun solche entspannten Treffen richtig gut! Die Koffer sind immer noch nicht gepackt, aber das werde ich später noch schnell erledigen. Man kann es mit der perfekten Urlaubsplanung auch übertreiben.
Sonntag – 13.10.2024 Heimatgefühle
Heute bin ich mit den Kindern für ein paar Tage zu meiner Mutter nach Saarbrücken gefahren. Schon beim betreten des Apartementhauses strömt mir der Duft meiner Kindheit in die Nase. Es gibt nur ein Treppenhaus auf dieser Welt, das so einzigartig riecht. Es umhüllt mich ein Mantel von Geborgenheit, der alle Ängste vor den Untersuchungen der nächsten Wochen vergessen lässt. Vom dunklen Eingangsflur der Eigentumswohnung betreten wir das sonnendurchflutete Wohnzimmer. Der Esstisch mit den antiken Stühlen meines Ururgroßvaters ist gedeckt und herbstlich dekoriert. Meine Mutter hat das blau-weiße Sonntagsgeschirr aufgefahren, wie noch zu Zeiten meiner Großeltern. Damals war es Tradition, dass wir uns am Sonntagnachmittag zu Kaffee und Kuchen bei uns in der Wohnung getroffen haben. Meine Tante und mein Onkel werden gleich vorbeikommen, um mit uns den leckeren Butterkuchen zu genießen.
Nach einem gemütlichen Teestündchen mache ich mich auf zu einem Herbstspaziergang durch die Straßen meiner Kindheit. Ich laufe Richtung Wald, indem ich mit meiner Kindergartenfreundin immer gespielt habe. Damals gab es noch einen Abenteuerspielplatz mit einem Flugzeug. Was haben wir uns da für fantasiereiche Geschichten einfallen lassen. Weiter geht es vorbei an dem Apartmenthaus, in dem ich meine erste eigene Wohnung bezogen habe. Ich war damals so stolz auf mein außergewöhnliches 1 1/2 Zimmer Studio mit großem Balkon. Das absolute Highlight des Hauses waren der Pool und die Sauna, die ich mitbenutzen durfte.
Ich schlendere vorbei an der Kirche, in der ich im Gospelchor gesungen habe. Leider hat sich seitdem nie wieder ein Chor ergeben. Weiter unten in der Straße befindet sich die kleine Kappelle. Als Kind war ich fasziniert von der wunderschönen Weihnachtskrippe, die dort jedes Jahr aufgebaut wurde. Traurig stelle ich fest, dass die Kapelle zu einer baufälligen Ruine verfallen ist. Das Gelände umgibt nun ein Bauzaun mit dem Hinweis »Betreten verboten«.
Ich komme vorbei an den Häusern alter Kindergarten- und Schulfreunde. Unzählige Geschichten kommen mir in den Sinn. Was habe ich hier alles erlebt. Ein Jogger, ein paar Jährchen jünger als ich, läuft mir entgegen, grüßt freundlich und verschwindet in einem mir bekannten Haus. War das nicht … der Cousin meiner besten Schulfreundin? Voller beruhigender Heimatgefühle kehre ich in die Wohnung meiner Mutter zurück.