Titel der Woche: »Herbstgefühle«
Montag – 21.10.2024 Kein Platz für Oberflächlichkeit
Mein Gott, so schlecht habe ich lange nicht geschlafen. Ich habe mich fünf Stunden im Bett gewälzt. Das bevorstehende MRT für meine HWS heute Abend bereitet mir Sorgen. Ich hasse es, wenn mein Körper durchleuchtet wird. Wenigstens sind Ferien und ich habe keinen Druck früh aufzustehen. Die Kinder werden vermutlich eh nicht vor Mittag das Bett verlassen. Trotz meiner Müdigkeit absolviere ich mein 20-minütiges Rudertraining. Danach fühle ich mich schon etwas fitter.
Am Nachmittag habe ich einen Termin bei meiner portugiesischen Fußpflegerin. Die Frau geht bereits auf die 70 zu, ist mega kompetent und hat spannende Geschichten zu erzählen. Seit meiner Krebserkrankung habe ich viele interessante Menschen kennengelernt. Vorher waren wir in unserer Blase unterwegs mit nicht viel neuem Input. Ich schätze die vielen Denkperspektiven, die sich mir in den letzten Monaten eröffnet haben. Vor allem in der Onkologie habe ich viel dazugelernt und konnte meinen Horizont erweitern. Warum glauben wir eigentlich, Menschen würden nur wertvolle Erfahrungen im Beruf sammeln. Eigentlich müsste ich für die letzten 1,5 Jahre mindestens 5 Erfahrungsjahre gutgeschrieben bekommen. In einer offiziellen Bewerbung würde ich bei den meisten Unternehmen aber auf dem Absagestapel laden mit dem Vermerk »ich bin Brustkrebspatientin«.
Wir unterhalten uns über das Thema »Oberflächlichkeit«. Es ist schon traurig, wie viele Menschen sich rein an Äußerlichkeiten orientieren. Als Kosmetikerin bekommt sie hautnah mit, wie viele Frauen hauptsächlich, um ihre äußere anstatt innere Schönheit bemüht sind. Viele Liebesbeziehungen scheinen darauf aufzubauen. Erfüllt ein Partner die äußerern Anfordeurngen nicht mehr, wird er einfach aussortiert. Mit macht so etwas unfassbar traurig. Diese Oberflächlichkeit nervt mich auch an einigen Bekannten von uns. Gerade mit meiner Erkrankung ist es mir wichtig, dass man Menschen um sich herum hat, die einem das Gefühl geben, wegen der inneren Werte geliebt zu werden. Oberflächlichen Menschen gebe ich keinen Raum mehr in meinem Leben.
Dienstag – 22.10.2024 Herausforderung Nachsorge
Wie gerne hätte ich diese Ferienwoche noch richtig genossen, aber es stehen verschiedene Nachsorgetermine an. Nachsorge ein schwieriges Thema. Als ob es nicht schon emotional belastend genug wäre, ist die Organisation der Horror. Man verbringt Stunden in den verschiedensten Wartezimmern, weil es kein durchdachtes Angebot gibt. Die niedergelassenen Onkologen können keinen Brustultraschall durchführen und die Gynäkologen haben keine ganzheitliche Sicht auf den Körper. Viele Hausärzte sind mit dem Nebenwirkungsmanagement insbesondere der neuen Immuntherapien überfordert. Die Brustzentren fühlen sich nicht mehr zuständig, sobald die Akutbehandlung abgeschlossen ist. Es kostet viele Nerven, Zeit, ein fundiertes Fachwissen und ein gesundes Selbstbewusstsein sich selbst ein Nachsorgeprogramm zusammenzustellen. Ich bin sehr dankbar, dass ich einen emphatischen Gynäkologen und einen kompetenten Hausarzt gefunden habe, die mich unterstützen. Zudem habe ich eine tolle Physiotherapeutin, einen begnadeten Osteopathen, einen ganzheitlich denkenden TCM Mediziner und einen netten Orthopäden. Mein Terminkalender ist dementsprechend aber auch gut gefüllt.
Am Nachmittag unterstütze ich noch meinen Onkel per Fernwartung bei seinem Computerdrama. Ihr erinnert Euch – der neue PC. Am Abend feiern wir den neuen Arbeitsvertrag von meinem Mann. Ich trinke ein Gläschen Sekt und bin direkt beschwipst. Normalerweise trinke ich keinen Alkohol mehr. Heute gönne ich mir mal eine Ausnahme. Wir erzählen witzige Geschichten und lachen alle zusammen. Ich mag die gelöste, lustige Stimmung am Abendbrottisch.
Mittwoch – 23.10.2024 Initiative ergreifen
Heute morgen habe ich mich gefragt, ob ich dem Krebs so viel Macht über mein Leben geben möchte. Ja, ein Rückfall ist möglich, aber kann ich nicht trotzdem noch von einer beruflichen Herausforderung träumen? Mein Mann wird ab Januar einen neuen Job annehmen und ich verspüre ebenfalls Lust, etwas Neues auszuprobieren. Es tut mir nicht gut, so viel Zeit zu Hause zu verbringen. Ich gerate dann gerne in endloses Grübeln über mein Leben und meine Erkrankung.
Ich habe es also gewagt und eine Initiativbewerbung geschrieben. War ganz schön aufregend und ich zweifle gerade, ob ich mit meinen Zeilen überhaupt ansatzweise überzeugen konnte. Ich bin wirklich aus der Übung. Jede neue E-Mail lässt mein Herz höher schlagen, obwohl ich wohl kaum so schnell eine Antwort erwarten kann. Wäre schon toll, wenn sich was ergeben würde. Mein Selbstwertgefühl könnte einen kleinen Push gebrauchen.
Donnerstag – 24.10.2024 Einsamkeit
Heute bin ich nicht so richtig motiviert. Ich habe schlecht geschlafen und mein Arm tut wieder weh. Mittlerweile weiß ich, dass ich einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule habe. Welche Therapie mich jetzt erwartet, erfahre ich hoffentlich nächste Woche. An solchen Tagen schleichen sich Gefühle von Einsamkeit in meinen Kopf. Seit der Krebserkrankung ist die Angst vor Einsamkeit besonders groß. Die krankheitsbedingte Isolierung hat mir letztes Jahr doch sehr zu schaffen gemacht. Schlimmer als unter Corona. Diesmal durften die anderen raus und das normale Leben genießen. Ich war eingesperrt und fühlte mich auch noch körperlich schlecht. Unter solchen Umständen positiv zu bleiben und nicht in eine Depression zu verfallen ist ganz schön schwierig.
Ich muss daran denken, dass sich gemäß einer Studie jeder 2. in Deutschland einsam fühlt. Einsamkeit ist genauso schädlich, wie das Rauchen von Zigaretten, kann krank machen und zum frühzeitigen Tod führen. Einsamkeit und Krebs sind keine gute Kombination. Ich google ein bisschen zum Thema »Einsamkeit« und stoße auf eine Initiative der Landesregierung NRW. Für den Aktionsplan gegen Einsamkeit kann man bis zum 3. November Ideen gegen Einsamkeit einreichen. Mir gefällt die Aktion. Ich überlege mir ein paar Massnahmen für kranke Menschen und sende sie ein. Danach geht es mir gleich besser.
Freitag – 25.10.2024 Herbstwanderung
Der letzte Ferientag und die Sonne strahlt vom Himmel. Ich überrede meine Tochter zu einer Wanderung auf den Drachenfels bei Königswinter. Da wollte ich schon so lange mal wandern und heute ist ein idealer Tag. Außerdem kann ich ein bisschen Ablenkung in der Natur gut gebrauchen.
Um 11h erreichen wir den Parkplatz an der Zahnradbahn. Er ist erstaunlich leer. Ich hätte an so einem schönen Tag in den Ferien mehr Betrieb erwartet. Die meisten Besucher nehmen die Bahn nach oben. Meine Tochter, unser Hund und ich gehen zu Fuss nach oben. Der steile Aufstieg zieht sich ganz schön. Ich bin stolz, dass ich konditionell mit meiner Tochter locker mithalten kann. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Da lag ich um diese Zeit im OP bei meiner beidseitigen Mastektomie. Ich bin immer noch sehr froh für diese Entscheidung, auch wenn es eine große körperliche Herausforderung war.
Oben angekommen gönnen wir uns einen kleinen Snack und schießen ein paar schöne Fotos bevor die Wanderung weitergeht. Insgesamt haben wir uns eine Strecke von 9,5 km vorgenommen. Auf halber Strecke erreichen wir das »Milchhäuschen«. Wir haben ordentlich Hunger und freuen uns über ein warmes Mittagessen und leckeren Nachtisch. Wir sind die ersten im Restaurant. Gut, dass wir so früh dran sind. Wir werden schnell bedient. Eine halbe Stunde später sind deutlich mehr Tische belegt. Weiter geht es bei herrlichem Sonnenschein durch eine wunderschöne Herbstlandschaft. Die Farben sind unbeschreiblich. In solchen Momenten vergesse ich den Krebs, meine Angst und bin einfach nur glücklich. Stolz erreichen wir unser Auto. Wir haben alle super durchgehalten. Besonders von unserem kleinen Hund bin ich jedes Mal begeistert. Bruno hat einfach so viel Power und macht ganz toll mit. Morgen haben wir wahrscheinlich alle ordentlich Muskelkater. Ich spüre bereits ein Ziehen in den Oberschenkeln.
Samstag – 26.10.2024 Chinesische Weisheiten
Regelmäßig besuche ich einen TCM Mediziner, da ich von dem Konzept sehr überzeugt bin. Ich versuche mich auch weitestgehend nach der traditionell chinesischen Medizin zu ernähren, was mir wirklich gut tut. Bei strahlendem Sonnenschein fahre ich in Richtung Bonn. Im Auto höre ich mein Hörbuch weiter – Juli Zeh »Zwischen Welten«. Mir gefällt das Buch. Wirklich toll geschrieben. Ich beneide Menschen, die sich so ausdrücken können. Obwohl ich gerne schreibe und viel zu sagen hätte, fällt es mir doch häufig schwer, die richtige Ausdrucksweise zu finden. Ich war immer eher der mathematische Typ. Sprachen sind mir schwergefallen. Außer für ein bisschen Englisch hat es auch zu keiner Fremdsprache gereicht. Mein Wochenrückblick ist gerade eine ganz gute Übung.
Ich genieße die Tuina Massage und Akupunktur. Herr Lü erzählt dabei Weisheiten von Laotse. Heute sprachen wir über das Thema Schicksal und wie unser Leben in den großen Eckpunkten vorbestimmt ist. Der Gedanke, dass eine höhere Macht, die Verantwortung über meine Lebensdauer hier auf Erden übernimmt, entlastet mich gedanklich irgendwie. Es nimmt mir die Schuldgefühle an meiner Krebserkrankung. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht und muss wohl jetzt dem Schicksal vertrauen.
Sonntag – 27.10.2024 Einfach Sonntag
Wie jedes Jahr bringt mich die Zeitumstellung vollkommen durcheinander. Ich erwache um 9 Uhr, denke es wäre erst 8. Der Wecker im Bad zeigt 10. Oh Schreck, der Hund muss dringend raus. Warum habe ich so lange geschlafen? Naja, ich habe bis 1 Uhr gelesen. Der Charlotte Link Krimi ist aber auch spannend. Bruno ist Gott sei Dank ein sehr entspannter Hund und liegt faul auf dem Sofa. Ich packe ein paar Leckerchen in die Tasche für unser Training. Es ist so entspannend, wenn wir gemeinsam durchs Feld laufen und ich Bruno neue Kommandos beibringe. Eine Mensch-Hund-Bindung ist etwas Wundervolles und tut der Seele richtig gut.
Die Kinder liegen mal wieder bis Mittag im Bett und tauchen erst zum Mittagessen auf. Ich habe etwas Neues ausprobiert – Brokkoli Ziegenkäse Plätzchen mit Spinat-Granatapfel-Salat. Ist richtig lecker geworden. Beim Mittagessen diskutieren wir über die Bewertung von Menschen. Eine sehr wertvolle Diskussion entsteht und es macht mich stolz, dass ich mit meinen Kindern solche Gespräche führen kann. Tiefgründige Kommunikation in der Familie ist mir sehr wichtig. Aber nicht nur dort.
Zum Abschluss der Woche möchte ich noch eine Weisheit meines TCM Arztes mit Euch teilen
»Eines Tages, wenn du nicht mehr nach Liebe suchst, sondern einfach liebst; wenn du nicht mehr nach Erfolg strebst, sondern einfach handelst; wenn du nicht mehr nach oberflächlichem Wachstum suchst, sondern beginnst, deinen spirituellen Teil zu entwickeln; erst dann fängt dein Leben wirklich an.«