Titel der Woche: »Vom rücksichtslosen Arschloch zur Vorstadttussi auf St. Pauli«

Montag – 30.9.2024 Rücksichtsloses Arschlosch

Na, dass war mal ein Wocheneinstieg. Das nasskalte Wetter sitzt mir in sämtlichen Muskeln und Gelenken. Meine Schulter nimmt mir meine ehrgeizige Yogastunde der letzten Woche immer noch übel. Mein Dickkopf will immer mehr, als mein Körper in der Lage ist zu leisten. Tja, jetzt habe ich die Quittung und quäle mich durch den Tag. Jeder einigermaßen vernüftige Mensch würde wohl eine Schmerztablette nehmen, aber ich leide lieber heldinnenhaft.

Am späten Vormittag kontaktiere ich doch meinen Osteopathen. Wer mein Buch meine Ex-Gebärmutter gelesen hat, kennt ihn und weiß, dass ich auf seine heilenden Hände schwöre. Wie gut, dass wir seit Jahren eng befreundet sind und er mir kurzfristig einen Nachmittagstermin anbietet. Zwischenzeitlich bin ich bereits leicht hysterisch und habe schon mehre Seiten zum Thema Brustwirbelmetastasen gelesen. Ich schlängle mich durch den Feierabendverkehr zwischen Köln und Bonn und erreiche noch gerade rechtzeitig die Praxis. Ich zwänge mich mit unserem Familienvan in eine der engen Parklücken und hoffe, dass der Autofahrer neben mir über genügend Fahrkünste verfügt, sein Auto gerade aus der Parklücke zu lenken. Ich stehe aber vorschriftmäßig innerhalb der eingezeichneten Linien.

Ich genieße eine entspannende Behandlung und schlafe sogar auf der Massageliege ein. Kennt ihr das, wenn ihr dann aufwacht und erstmal nicht wisst wo ihr seid? In solch einer Situation ist immer mein erster Gedanke »Hilfe, ich habe verschlafen, die Kinder müssen zur Schule.« Noch ein bisschen benebelt wanke ich zu meinem Auto und sehe schon durch die gläserne Praxis-Eingangstür einen weißen Zettel unter meiner Windschutzscheibe. »Scheiße, jetzt bitte kein Kratzer am Auto«, denke ich. Ich eile zu meinem Auto, nehme den Zettel, der sich als Taschentuch herausstellt und lese auf der Rückseite »RÜCKSICHTSLOSES ARSCHLOCH«.

Ok, was soll ich davon halten? Ich atme kurz durch und nehme es mit Humor. Der Zettel liegt jetzt bei mir im Auto, falls mir mal wieder ein wirklich rücksichtsloses Arschloch begegnet.

 

Dienstag – 01.10.2024 Graue Haare ja oder nein?

Heute morgen hatte ich einen Termin bei meinem Frisör. Im Gegensatz zu früher sehen wir uns mittlerweile ziemlich häufig. Mit den langen Haaren war ich maximal 3 Mal im Jahr beim Frisör, mittlerweile alle 4 bis 6 Wochen. Er begrüßt mich mit der Frage »Was machen wir heute?«.

Bereits seit Tagen hadere ich mit meinen grauen Haaren. Vor ein paar Wochen war »Hauptsache Haare« noch meine Devise. Jetzt werde ich doch wieder ein bisschen eitel. Für meine 45 bin ich zwar noch gut dran, aber da ich seit der Chemo noch dunkler bin, fallen die grauen Haare auch mehr auf. Besonders am Hinterkopf haben sich ein paar graue Nester geblidet, was irgendwie komisch aussieht. Für ganz grau fühle ich mich definitiv noch zu jung und ein blonder Look, wie ihn viele Frauen in meinem Alter wählen, passt so gar nicht zu mir.

Ich entscheide mich für eine sanfte braun Tönung. Dann erstmal der Schock – »oh, mein Gott ist das dunkel«. Erfahrungsgemäß sehen Tönungen erst nach zwei bis drei Haarwäschen richtig gut aus. Also, abwarten und Tee trinken.

 

Mittwoch – 02.10.2024 Selbstmitleidstag

Also heute ist nicht so wirklich mein Tag. Keine Ahnung welche Mondkonstellationen, Wetterwechsel oder Hormonschwankungen schuld sind, aber ich bin einfach mies drauf und bemitleide mich selbst. Kennt ihr solche Tage, wo diese kleine, fiese Stimme im Kopf Euch völlig grundlos fertig macht und so gemeine Dinge sagt wie »Du bist nicht gut genug», »Du bist nicht schön genug«, »Du bist nicht erfolgreich genug«. Wenn man dann nicht aufpasst, rutscht man in diese Selbstmitleidsnummer ab und gerät im schlimmsten Fall auch noch mit dem Partner aneinander, weil man sich ja so schrecklich ungeliebt fühlt.

Da hilft am besten Schokolade. Ja, ich weiß Achtsamkeitsübungen, Yoga, meditieren wären viel besser. Aber sind wir doch mal ehrlich, müssen wir uns ständig selbst optimieren. Manchmal darf es auch nur Schokolade sein oder ein anderer Seelentröster. Ich habe mich mal in meiner Community umgehört und ein paar schöne Ideen gesammelt »Die 15 besten Seelentröster für Selbstmitleidstage«

 

Donnerstag – 03.10.2024 Tag der Umsatzsteuervoranmeldung

Tag der deutschen Einheit – unser Hund lebt seit 2 Jahren bei uns. Die Schule hat morgen keinen Brückentag, so dass wir als Familie nichts Besonderes geplant haben. Muss man an einem Feiertag immer etwas Außergewöhnliches unternehmen? Ich habe den Eindruck, dass der Druck in der Freizeit möglichst viele spannende Dinge zu erleben, immer größer wird. Ansonsten wird man schnell als Langeweiler abgestempelt.

Bei uns ist heute Tage der Umsatzsteuervoranmeldung und Büroorganisation. Ich bin um ehrlich zu sein dankbar, mal ein paar Stunden am Stück bei der Sache bleiben zu können, ohne von einem der typischen Alltagstermine oder Telefonanrufe wieder unterbrochen zu werden. Dieses Multitasking-Arbeiten und sich nicht mal in Ruhe auf eine Sache konzentrieren zu können, fällt mir immer schwerer. Ich versuche es immer mehr zu vermeiden und mich mehr zu fokussieren. Führt zu deutlich weniger Stress und besseren Arbeitsergebnissen, sowohl bei privaten, als auch beruflichen Aufgaben.

 

Freitag – 04.10.2024 Hamburg mal anders

Die Kinder sind bei ihrem Vater und mein Mann und ich fahren gemeinsam zu einem Bekannten nach Hamburg. Diesmal heißt es nicht Sightseeing, Shopping oder Musical Besuch, sondern Fußball in der Fankurve von St. Pauli. Mit 20 wäre ich da ja mal locker hingecheckt, ohne mir große Gedanken zu machen. Jetzt mit therapiebedingten Muskel- und Gelenkschmerzen will so ein Event ja wohl geplant sein. Über zwei Stunden in einem zugigen Stadion stehen, könnte zur Herausforderung werden. Sollte ich mich jetzt alt fühlen oder komme ich nicht langsam in das Alter, wo ich ungeniert kompliziert und komisch werden darf? Ich packe also alles in meinen Weekender, was mir hilfreich erscheint. Lange Skiunterwäsche, warme Wandersocken, gemütlichen Pullover, Mütze, Schal, Handschuhe, bequeme Jeans und Wärmepflaster gegen Muskel- und Gelenkschmerzen.

Bevor es aber morgen ins Stadion geht, ist heute erstmal Genuß angesagt. Nach unseren 6 stündigen Autofahrt haben wir ordentlich Hunger. Bei unserem Hamburgbesuch im Juli haben wir das Restaurant Stocks (*unbezahlte Werbung) kennengelernt und uns in das Ambiente und die Küche verliebt. Wir gönnen uns ein leckeres 3-Gang Menü. Bilder gibt es keine und ich als Foodbloggerin, sowieso total ungeeignet. Wenn ich mit Freunden beim Essen unterwegs bin, bleibt das Handy in der Tasche. Ich möchte die Atmosphäre nicht kaputt machen.

 

Samstag – 05.10.2024 Vorstadttussi auf St. Pauli

Da stehe ich nun in mitten des Fanblocks auf St. Pauli und komme mir doch recht deplaziert vor. Um mich herum echte Hardcore-Fans in entsprechender Fankleidung. Meine dunkelblaue Tommy Hilfiger Daunenjacke und die schwarzen Lackleder Boots sind tatsächlich etwas unpassend. Seitdem ich das Projekt minimalistischer Kleiderschrank am umsetzen bin, verfüge ich nicht mehr zu jedem Anlsass über die 100% passende Bekleidung und schon gar nicht bei winterlichen 5 Grad. Meine Winterjacke, die ich auf meinen Hundespaziergängen trage, wäre zwar passender gewesen. Die liegt aber in der Änderungsschneiderei mit einem kaputten Reisverschluss und meine Doc Martens habe ich erst kürzlich weggeben, weil sie mir zu unbequem wurden. Naja, zumindest wertet die Fanschal-Leihgabe eines lieben Freundes mein Outfit deutlich auf. Wer hat schon den orginal Freundschaftsschal von Köln und St. Pauli.

Skiunterwäsche, doppelte Wandersocken und Wärmepflaster waren definitiv eine super Entscheidung. Während andere Frauen um mich herum sichtlich frieren, bin ich in dieser Hinsicht mit meiner Outfitwahl perfekt gekleidet.

Ich lasse die Atmosphäre entspannt auf mich wirken. Von Fußball habe ich zugegebnermaßen sehr wenig Ahnung und muss mich erstmal orientieren, welche Spieler zu welcher Mannschaft gehören. Gott sei Dank, habe ich eine fantastische Sicht aufs Spielfeld und stelle schnell fest, dass der sympathisch aussehende Golie im Tor vor mir, nicht der Keeper von St. Pauli ist. 

Alles in allem ein interessanter Fußballabend mit sehr netten St. Pauli Fans. Zum Abschluß kaufe ich noch ein Erinnerungsshirt und freue mich für meinen Mann, dass Mainz 05 3:0 gewonnen hat. 

 

Sonntag – 06.10.2024 Home sweet home

Nach sieben Stunden Autofahrt sind wir endlich wieder zu Hause. So reibungslos wie auf der Hinfahrt sind wir nicht durchgekommen. Ziemlich K.O. betreten wir unser Haus und werden überschwenglich von unserem Hund begrüßt. Eigentlich wünsche ich mir nur noch eine heiße Dusche und mein Bett. Zwei Tage auf einer Gästeluftmatratze schlafen, drei Stunden im Stadion stehen und mehere Stunden Autofahrt machen sich in meinem Rücken bemerkbar. 

Doch erstmal rufen die Alltagspflichten. Morgen haben die Kinder Projektwoche. Meine Tochter nimmt am Nähprojekt teil und benötigt noch eine Reihe an Utensilien. Wir suchen ein paar Sachen in meinem Nähatelier zusammen. Meine heilige Nähmaschine bin ich nicht bereit, der Schule zur Verfügung zu stellen. Auch bei der Auswahl der Materialien bin ich sparsam. Ich habe keine Lust immer die halbe Schule mit hochwertigen Materialien zu versorgen, während die anderen Nichts mitbringen. Ich weiß nicht, wie viele Geodreicke, Farbstifte, Radiergummi, Lineale, Bastelscheren ich in den letzten Jahren gesponsert habe.

Angeblich wollen sie morgen mit einem handgenähten Taschentuch starten. Ich sollte noch erwähnen, dass meine Tochter 16 ist und die 11. Klasse eines Gymnasiums besucht. Nur damit beim Stichwort »selbstgenähtes Taschentuch« keine Missverständnisse entstehen. Wahrscheinlich dürfen wir die Werke am Ende der Woche am Präsentationsnachmittag für einen guten Zweck kaufen. Vielleicht könnt ihr mich verstehen, dass ich unter diesen Umständen meine schönen teuren Stoffe nicht für ein »Rotztuch« spenden möchte oder muss ich mir doch noch mal über den Hinweis des rücksichtslosen Arschlochs Gedanken machen?